Was ist NCL?

1. Was sind die neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen?

NCL steht für Neuronale Ceroid-Lipofuszinosen. Umgangssprachlich hat sich für diese Krankheitsgruppe auch der Begriff „Kinderdemenz-NCL“ eingebürgert. Die NCL sind die häufigsten erblichen neurodegenerativen (Hirnabbau-) Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters.

Etwa eines von 30.000 Kindern ist betroffen. Bei 785.000 Geburten im Jahr 2017 entspricht das etwa 26 Kindern, die jedes Jahr in Deutschland mit dieser Krankheit geboren wurden. Die Gesamtzahl der Betroffenen in Deutschland ist ohne ein Neugeborenenscreening und mangels zentraler Erfassung der Diagnosen jedoch nur schwer zu schätzen.

Der Name NCL leitet sich von dem wachsartigen Ceroid-Lipofuszin ab, das sich bei dieser Speicherkrankheit in den Körperzellen ablagert. Die verschiedenen Formen ähneln sich in ihrem Krankheitsbild sehr:

Es kommt im Kindesalter zu Erblindung, epileptischen Anfällen, fortschreitenden Bewegungsstörungen und geistigem Abbau.

Die NCL-Formen werden autosomal rezessiv vererbt. Das bedeutet, dass jemand, der ein gesundes und ein krankes Gen für eine der NCL-Formen besitzt, selber gesund bleibt. Erst wenn jedes Elternteil jeweils ein defektes NCL-Gen an das Kind vererbt, wird dieses Kind an NCL erkranken. Für jedes weitere Kind dieses Paares beträgt das Risiko, dass ein weiteres Kind auch an NCL erkrankt, wiederum 25%! In der Praxis können auch alle drei Kinder eines Paares krank sein. Oder nach vier gesunden Kindern das erste kranke Kind geboren werden.

Gesunde Geschwisterkinder haben entweder zwei gesunde Gene geerbt oder sind wie ihre Eltern Genträger der Krankheit - dann könnten sie das defekte Gen wiederum an eigene Kinder vererben. Darum kann es sinnvoll sein, dass sich auch ältere Geschwister, bei denen eine Erkrankung ausgeschlossen werden kann, genetisch untersuchen lassen.

Ein Gen ist, vereinfacht gesprochen, der Bauplan für einen bestimmten, vom Körper benötigten Baustein im Stoffwechsel des Körpers. Diese wichtigen Baupläne liegen immer doppelt vor. D.h. von jedem Gen liegen zwei Versionen, sogenannte "Allele" vor. Solange also ein Mensch - wie die Eltern eines NCL-Kindes - noch wenigstens einen intakten Bauplan besitzt, kann der Baustein korrekt hergestellt werden. Bei der Zeugung eines Kindes bekommt dieses zufällig jeweils einen der beiden Baupläne jedes Elternteils. Kommen zwei fehlerhafte Gene zusammen, erkrankt das Kind an NCL.

2. Welche Formen sind bisher bekannt?

Die einzelnen NCL-Formen werden durch Mutationen (Veränderungen) in völlig verschiedenen Genen verursacht. Die Zahl der bekannten Gene, die NCL verursachen können, ist in den letzten Jahren sehr gewachsen:

BeginnGenBezeichnung der Krankheit
ab Geburt*CTSD/ CLN10kongenitale NCL
Säuglingsalter* CLN1klassische infantile NCL
 CLN14infantile NCL
Kleinkindalter*CLN2klassische spätinfantile NCL (veraltet: Jansky-Bielschofsky)
 CLN5Finnische Sonderform
 CLN6Indisch-Iberische Sonderform
 CLN7Türkische Sonderform
 CLN8Nordische Epilepsie
SchulalterCLN3klassische juvenile NCL (veraltet: Spielmeyer-Vogt)
 CLN12juvenile NCL
 CLN9nur vermutete, juvenile Form
ErwachseneCLN4klassische adulte NCL
 CLN6Kufs Typ B
 CLN11adulte NCL
 CLN13Kufs Typ A

* je nach Mutation können diese Gene auch zu später auftretenden Varianten führen. So gibt es Kinder, die trotz einer Mutation im CLN1 Gen einen spätinfantilen oder juvenilen Verlauf der Krankheit haben.

Die verschiedenen NCL- Erkrankungen

Früher unterschied man die verschiedenen NCL-Formen nach dem Alter, in dem sich die Erkrankung bemerkbar machte: Bei der kongenitalen (angeborenen) NCL bereits ab Geburt, bei der infantilen NCL im Verlauf des 1. Lebensjahres, bei der spätinfantilen NCL um das 2. bis 4. Lebensjahr herum, bei der juvenilen NCL im frühen Schulalter und bei der äußerst seltenen adulten NCL im Erwachsenenalter.

Üblich war auch eine Benennung nach demjenigen, der die jeweilige Form erstmalig beschrieben hat: So wurde die juvenile NCL-Form (CLN3) nach dem deutschen Arzt Christian Stengel, der in Dänemark praktizierte und schon 1826 diese NCL-Form beschrieb, auch Stengelsche Krankheit genannt. Weitere Namen für diese Form waren Vogt-Spielmeyer- oder Vogt-Spielmeyer-Stock-Syndrom. Von Frederick Batten, der die juvenile NCL 1902 beschrieb, leitet sich bis heute der in den englischsprachigen Ländern übliche Begriff Batten Disease ab. Für die spätinfantile Form wurde der Begriff Jansky-Bielschowsky-Syndrom geprägt.

Heutzutage werden in der Regel die betroffenen Gene als Synonym für die jeweilige NCL-Form verwendet, z.B. CLN2 für die klassische spätinfantile NCL. Oder CLN1.1 für die klassische infantile NCL, CLN1.2 für eine infantile NCL mit verzögertem Verlauf, CLN3 für die klassische juvenile NCL.

Krankheitsbild - CLN1 beginnt meist gegen Ende des ersten Lebensjahres. Bis dahin scheinen die Kinder gesund und geistig und körperlich altersgerecht entwickelt zu sein. Erste Anzeichen der Erkrankung sind ein Stillstand und dann Rückschritte in der Entwicklung. Fähigkeiten, die die Kinder bereits einmal erlernt hatten, wie zum Beispiel sitzen oder krabbeln, gehen wieder verloren. Die Netzhaut wird geschädigt. Weitere Symptome sind Muskelschwäche (muskuläre Hypotonie), die später in starke Muskelverkrampfungen (Spastik) übergehen kann. Ebenso treten unwillkürliche Muskelzuckungen (Myoklonien) sowie Krampfanfälle (Epilepsie) auf. Die Reihenfolge des Auftretens dieser Krankheitszeichen kann verschieden sein.

Erkrankungsmechanismus - CLN1 wird durch Mutationen im CLN1-Gen verursacht. Dieses Gen ist verantwortlich für das korrekte Funktionieren des Enzyms Palmitoylprotein-Thioesterase 1 (PPT1).

Diagnose - Durch eine Blutuntersuchung lässt sich das Fehlen des PPT1-Enzyms feststellen, durch eine Gendiagnostik auch die genaue Mutation des Gens.

Besonderheiten  - Gerade bei der CLN1 gibt es völlig verschiedene Krankheitsverläufe. Während manche Kinder den „klassischen“ sehr schnellen und früh bemerkbaren Verlauf zeigen, haben andere einen sehr viel langsameren Verlauf der Krankheit, analog einer CLN3.

Krankheitsbild - Der typische Krankheitsbeginn der CLN2 liegt im Bereich des dritten Lebensjahres. In diesem Alter fallen die Kinder meist mit einem Zurückbleiben in ihrer Entwicklung und psychomotorischen Auffälligkeiten auf. Fähigkeiten, die das Kind bereits erworben hat, gehen nach und nach verloren und schwer behandelbare Krampfanfällen treten auf. Die Kinder sehen mit der Zeit immer schlechter, da die Krankheit die Netzhaut des Auges schädigt. Innerhalb weniger Jahre verlieren die Kinder so alle körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Sie werden unbehandelt selten älter als 8 bis 12 Jahre.

Erkrankungsmechanismus - Die CLN2 kommt weltweit vor und ist in Deutschland gemeinsam mit der CLN3 die häufigste NCL-Form. Durch den Gendefekt wird die Produktion des Enzyms Tripeptiylpeptidase 1 (TPP 1) behindert bzw. verhindert. Dieses Enzym baut normalerweise Abfallprodukte in den Zellen ab.

Diagnose - Durch eine Blutuntersuchung lässt sich das Fehlen des TTP1-Enzyms feststellen, durch eine Gendiagnostik die genaue Mutation des Gens. In seltenen Fällen können bei einer NCL mit spätinfantilem Verlauf auch Mutationen in anderen NCL-Genen (CLN1, CLN5, CLN6, CLN7, CLN8) vorliegen.

Krankheitsbild - CLN3 macht sich meist im frühen Schulalter bemerkbar. Erstes Anzeichen der Erkrankung sind Sehprobleme, die sich nicht mit einer Brille bessern lassen, da sie auf einer Erkrankung der Netzhaut beruhen. Diese verschlimmern sich bis zur völligen Erblindung.

Später nimmt die Konzentrations- und Denkfähigkeit immer mehr ab, was sich in einem Nachlassen der schulischen Leistungen widerspiegelt. Hinzu kommt das Auftreten von Krampfanfällen und zunehmende Bewegungs- und Sprachstörungen sowie Demenz.

Allzu häufig werden diese Symptome über viel zu lange Zeit als psychische Auffälligkeiten gedeutet und den Eltern - auch vom Fachpersonal - gänzlich ungerechtfertigte Vorwürfe gemacht.

Zeitweilige psychische Probleme, wie Depressionen, Angstzustände oder Halluzinationen sind nicht selten. Die Lebenserwartung liegt bei 20 bis 30 Jahren, teilweise auch darüber hinaus.

Erkrankungsmechanismus - Die CLN3 kommt weltweit vor mit einem Schwerpunkt in den nordischen Ländern. Gemeinsam mit der CLN2 ist sie die häufigste NCL-Form in Deutschland. Das betreffende Gen ist nicht wie bei der CLN1 und CLN2 für ein lösliches Enzym verantwortlich, sondern für ein fest in der Zellmembran verankertes Protein.

Diagnose - Gesichert wird die Diagnose durch die Untersuchung des Blutes auf Lymphozyten-Vakuolen und auf Mutationen im CLN3-Gen. In seltenen Fällen, wenn keine Lymphozyten-Vakuolen sichtbar sind, kann es sich um Sonderformen handeln, bei denen nicht das CLN3-Gen, sondern andere Gene (CLN1, CLN2, CTSD) defekt sind.

Behandlung - Neben der medikamentösen Behandlung der Symptome ist gerade bei juveniler NCL auch die besondere Betreuung der Patienten auf pädagogischer Ebene wichtig. Da die Kinder bei Krankheitsbeginn meist schon älter sind, erleben sie den Verlust ihrer Fähigkeiten sehr bewusst mit. Dies führt häufig zu depressiven oder aggressiven Stimmungen, die auch psychiatrische Betreuung erforderlich machen können. Ein weiteres Problem sind die im späteren Krankheitsstadium häufig auftretenden Angstzustände mit Halluzinationen. Aufgrund dieser gerade bei einem juvenilen Verlauf vorkommenden und sehr belastenden psychiatrischen Probleme, können zeitweise Psychopharmaka notwendig werden. Es empfiehlt sich daher bei der Behandlung auch einen Kinder- und Jugendpsychiater hinzuzuziehen.

Außerdem hat sich Sport als nützlich erwiesen: Reichliche Bewegung und sportliche Betätigung, zum Beispiel Tandemfahren, therapeutisches Reiten oder Schwimmen, auch angepasstes Krafttraining wirken sich sehr positiv auf den Krankheitsverlauf und das psychische Wohlbefinden aus. Die Bewegungsfähigkeit bleibt länger erhalten, eine Rückgradverkrümmung (Scoliose) wird verzögert.

3. Behandlung und Therapie

Bis heute gehören alle NCL zu den unheilbaren Erkrankungen. Eine der Voraussetzungen für das Finden von ursächlichen Heilmethoden ist nach wie vor, den immer noch weitgehend unbekannten Mechanismus der verschiedenen NCl-Formen zu erforschen und zu verstehen, wodurch die Nervenzellen bei dieser Krankheitsgruppe absterben.

Informationen über die einzige bislang zugelassene Therapie und weitere potentielle Therapieansätze und Studien finden Sie hier.

Ein Schwerpunkt der Behandlung bleibt aber nach wie vor die Linderung der Symptome. Epileptische Anfälle, Myoklonien, Halluzinationen, Spastik und Unruhezustände können z.B. durch Medikamente positiv beeinflusst werden. Eine Magensonde kann die Ernährung und die Gabe von Flüssigkeit gewährleisten.

In der NCL-Sprechstunde in Hamburg haben die Ärzte viele Erfahrungen mit solchen Medikamenten gesammelt. Dabei hat sich herausgestellt, dass verschiedene Medikamente bei einzelnen Formen der Krankheit besser oder schlechter wirken. Diese gewonnenen Informationen gibt die NCL-Sprechstunde gerne an Eltern und andere Ärzte, die NCL-Patienten betreuen, weiter.

Bei Fragen zu Diagnose, Verlauf und Therapie der NCL-Krankheiten können Sie sich jederzeit an die Ärzte der NCL-Sprechstunde in Hamburg wenden.

Gerade auch die vor Ort die Kinder behandelnden Ärzte möchten wir an dieser Stelle eindringlich bitten, keine Scheu zu haben. Bitte nehmen Sie zum Wohl Ihrer Patienten bei Problemen und Behandlungsfragen einfach Kontakt mit den Ärzten der NCL-Sprechstunde auf. Die Ärzte dort sehen nicht - wie die meisten anderen Ärzte - maximal ein Kind mit NCL im Laufe ihres langen Arbeitslebens, sondern an jedem einzelnen Tag viele Kinder mit NCL. Bitte nutzen Sie deren Erfahrung!

Kontakt zur NCL-Sprechstunde:

Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin
Unversitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
NCL-Sprechstunde
Dr. Angela Schulz

Martinistr. 52
20246 Hamburg
Tel.: 040 7410-20400 | 040 7410-20440
Fax: 040-7410-55317

E-Mail: Dr. Angela Schulz
Team:  Dr. Miriam Nickel | Dr. Eva Wibbeler | Dr. Christoph Schwering